Freie Räume | Eröffnungsrede

2006

Anne Erfle, Kunstkritikerin



"Freie Räume",
unter diesem Titel zeigen die beiden Künstler Klaus von Gaffron und Horst Thürheimer ihre sehr unterschiedlichen Werke in einer gemeinsamen Ausstellung. Was mag sie wohl zu diesem Titel verleitet haben? Zunächst vielleicht das nahe Liegende, ganz pragmatisch diese freien Wände hier zu bespielen. Doch bezieht man den Titel "Freie Räume" auf die Kunst und speziell auf die Werke, die sie hier zeigen, so beschreibt der Begriff wohl eher die Situation, in der ein jeder Künstler vor dem kreativen Akt des Machens sich befindet, wenn er am Anfang einer neuen Arbeit steht. Er steht vor der Entscheidung, aus der unendlichen Fülle der Möglichkeiten die für seine Intention gemäße Form zu finden. Das bedeutet für den Maler, die Entscheidung für bestimmte Materialien, mit denen er sein Thema auf einer begrenzten Bildfläche darstellt, etwa auf einer Leinwand oder Holztafel gegenständlich oder abstrakt. Und diese Entscheidung ist in den letzten hundert Jahren nicht einfacher geworden, denn nicht nur mit den Wegen in die Abstraktion wurde das Feld für die Malerei um wesentliche Dimensionen erweitert. Inzwischen gibt es neben den traditionellen Materialien Acrylfarben, Polymer und Kunststoff und Vinylfarben, die andere Maltechniken zulassen. Es eröffnet sich ein komplexes Feld, für das man sich je nach dem Ergebnis, das man erzielen möchte, entscheiden muß. Das gleiche gilt für die Fotografie. Hier ist die Digitalisierung längst Standart und die technischen Möglichkeiten der nachträglichen Bearbeitung eines Fotos, um spezifische Effekte zu erzielen, sind schier grenzenlos. Der Betrachter von aktueller Fotografie ist also stets auf der Suche nach der Wirklichkeit. Er möchte herausfinden, wie hat der Künstler zum Beispiel den Himmel so klar und monochrom abbilden können, oder wie hat er bestimmte gestochen scharfe Kontraste erzielt? Sowohl in der Malerei als auch bei den Fotoarbeiten möchten wir eine Geschichte erkennen. Wir möchten das Gemälde oder die Fotografie vervollständigen, die realistische Ausgangsidee entschlüsseln. Dazu braucht es zunächst die Bereitschaft, sich auf das Bild einzulassen, es lange und aufmerksam zu betrachten. Denn der Künstler hat seine Schritte mit bestimmten Aussagen zum Thema gewählt, die Auswahl des Bildträgers, die Komposition, die Wahl der Farben, den Farbauftrag, den Gestus, Verteilung von Licht und Schatten. Wenn wir also so vorgehen, erkennen wir bei Horst Thürheimer zunächst, dass er seine Bilder nicht mit dem Pinsel malt, sondern die Farbe mit dicken Ölkreiden aufträgt. Meist setzt er Schichtungen von ölig glänzenden Farben, die sich komplex überlagern, sich miteinander verbinden, sich mischen und schließlich eine reliefartig pastose Oberfläche bilden. Die Oberfläche ist nicht homogen, immer bleiben auch Lücken, die Partien der unteren Farbschichten sichtbar lassen. Nur hin und wieder setzt er transparenten Farbauftrag mit betont leichtem Pinselduktus in schwungvollem Gestus über die vielschichtige Malerei. Der Malgrund besteht nicht aus Leinwand, sondern aus schwerem Büttenpapier, das die Farben aufsaugt. Er verwendet es in kleineren oder größeren Formaten und klebt die einzelnen Blätter wie ein Patchwork auf die Leinwand, so dass die aneinander stoßenden Ränder dem Bild eine zusätzliche Struktur verleihen. Horst Thürheimer zeichnet seine Bilder mit den Ölkreiden, die dann im großen Format als Gemälde erscheinen. Mal beinhalten sie Architekturverweise mit vergitterten oder hermetisch verschlossenen Partien, mal suggerieren sie Landschaften mit Seen oder weiten lichtdurchfluteten Feldern. Im Hintergrund dann verleiht eine horizontale dunklere vielfarbige Zone dem Bild Tiefe. Man sieht keine Details, nur Atmosphäre und die Sehgewohnheit erkennt die Zone als dichten Wald, obwohl keine Bäume gezeichnet sind, dahinter die sanfte Hügelkette vor dem tiefblauen Streifen Himmel am Horizont. Das Bild mutet wie eine romantische Voralpenlandschaft an. Doch die Idylle wird gestört von glutroten bis schwarzen Spuren, die im hellen Wiesengrün wie eine aufgerissene Wunde anmuten. Die Farbstreifen erscheinen wie flüchtig hingeweht und dennoch setzen sie gravierend einschneidende Akzente ins Bild. Tatsächlich sind sie im wahrsten Sinn des Wortes nicht gemalt, sondern durch die Flamme eines Bunsenbrenners ins Papier eingebrannt. Dabei benutzt der Künstler das Gerät wie einen Pinsel, gleitet mit der Flamme über das Papier, wobei die Hitze die Ockerfarbe in einem chemischen Prozess in Rot verwandelt bis zum schwarzen Brandfleck, je nach Intensität. Man kann diese Aktion als Metapher betrachten, als einen kritischen Kommentar zu unserem Umgang mit der Natur, nicht gleich sichtbar, subtil verborgen, aber nachhaltig in der Wirkung. 
Horst Thürheimer, 1952 geboren, studierte Malerei an den Münchner Akademie und war Meisterschüler bei Rudolf Tröger.
Klaus von Gaffron 1946 geboren, hat mehrere Stationen durchlaufen, etwa eine Buchhändlerlehre, verschiedene Drucktechniken in den Werkstätten der Münchner Akademie studiert, war und ist auch Kurator und unter anderem erster Vorsitzender des Berufsverbands BBK München und Oberbayern. Als Künstler ist er mit seiner charakteristischen Form der experimentellen Fotografie bekannt. Wenn der Fotograf mit Belichtungs- und Entfernungsmesser das präzise Abbild der Wirklichkeit versucht einzufangen, dann macht Gaffron das Gegenteil, Seine Fotografien erscheinen mystisch, rätselhaft. Sie wirken eher wie Gemälde, als wie Fotografie. Er experimentiert mit Licht, um Sehgewohnheiten in Frage zu stellen und mit der Kamera spontane Phänomene herauszufiltern. Seine Motive sind Alltagsgegenstände, die er bis zur Auflösung der Formen verfremdet. In einem Arbeitsprozess erfaßt er sein Motiv aus verschiedenen Perspektiven und fügt die einzelnen Bilder zu einem vielteiligen Tableau zusammen.. Das kann ausgehen von ein Türgriff am Auto oder einer Flasche oder auch vom Wind bewegte Textilien im Gegenlicht. Dabei geht er mit der Kamera ganz nah an das Objekt heran, fokussiert einen detaillierten Ausschnitt und läßt das Objekt durch Unschärfe und Bewegung zu einem nebulösen Lichtphänomen mutieren, wenn sich die Konturen in weiche Formen auflösen. In malerischer Unschärfe scheinen die Lichtreflexe die glatten Objekt zu entmaterialisieren, so dass ihre ursprüngliche Form kaum noch zu erkennen ist. Strukturen kristallisieren sich zu abstrakten Formen, zu denen sich bestimmte Assoziationen einstellen. Denn der Betrachter ist immer versucht, die Gestalt als Ganzes zu erkennen. Mal wird er in den Bildern Design-Objekte entdecken, mal eher erotische Assoziationen empfinden, was sich in vielen Arbeiten fortsetzt. Klaus von Gaffron experimentiert mal analog mal digital mit dem Medium Fotografie und nie wird er sein Resultat voraussagen können. Es ist der eine entscheidende Augenblick, den es zu erhaschen gilt, um das ultimative Bild zu bekommen. Und immer wieder Spannung und auch Glücksmomente, wenn das Resultat gelungen ist. Denn es ist das Unvorhersehbare, was die Arbeit spannend macht
Beiden gemeinsam ist das Erlebnis der Farbe. Farbe als Farbe zu sehen, ohne sie an Gegenständlichem festzumachen, ist eine elementare Erfahrung. Das Visuelle löst sinnliches Erleben aus, Wahrnehmungen, die individuelle Bilder und Gefühle hervorrufen. In dem Sinn wünsche ich Ihnen spannende Erlebnisse vor den Werken.